Monatliches Archiv: Juli 2022

Ein Rundgang mit Blinden, Sehbehinderten und Begleitpersonen am HBF Linz

Nach fast genau 3 Jahren war es wieder so weit. freiraum-europa und die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs führten gemeinsam eine Führung für Blinde, Sehbehinderte und dessen Begleitpersonen am Hauptbahnhof Linz durch.

Eine ansehnliche Gruppe traf sich an einem Mittwochnachmittag bei der Säule mit dem Blindenlogo und harrte der Dinge, die auf sie zukommen werden. Hier befindet sich auch der Infopoint der ÖBB sowie die vier Lifte, die in die obere Ebene und nach unten zur Straßenbahn führen.

Der HBF Linz besteht aus 3 Ebenen. Die erste Ebene ist der Haupteingang mit dem Bahnhofsvorplatz und den Taxiständen. Hier befindet sich auch der Terminaltower. Mit 98,5 Metern, nach dem Mariendom, das zweithöchste Gebäude in Linz. In der untersten Ebene befinden sich die Straßenbahnhaltestellen der Linz AG. Und in der mittleren Ebene spielt sich am HBF Linz alles ab.

Der Bahnhof Linz ist komplett barrierefrei. Man kommt entweder auf Stiegen, Rolltreppen oder Liften an sein gewünschtes Ziel.

Es gibt einige wichtige Einrichtungen, die ein Bahnhof unbedingt haben soll. Darunter fallen ganz besonders die Einrichtungen zum Erwerb der Fahrkarten. Am HBF Linz kann man sich die Fahrkarten in der Kassenhalle der ÖBB, beim Westshop der Westbahn und in den Trafiken für FlixBus und den Linz AG Linien holen.

In der Kassenhalle der ÖBB gibt es ein besonderes Service für Blinde und Sehbehinderte. Ungefähr 2 Meter nach dem Eingang befindet sich eine taktile Auffanglinie. Die „gekennzeichnete“ Blinde oder Sehbehinderte Person braucht bei dieser Linie nur warten und wird von Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern der Bahn abgeholt und auch wieder nach draußen begleitet. Dieses Service funktioniert hervorragend. Eine weitere Möglichkeit, als Blinde oder Sehbehinderte Person an eine Fahrkarte zu kommen, sind die 6 Fahrscheinautomaten in der Halle direkt beim Infopoint. Alle Fahrscheinautomaten der ÖBB sind mit einer taktilen Telefonnummer und einer Automatennummer beschriftet. Diese Hinweise sind auch in Blindenschrift vorhanden. Die Blinde oder Sehbehinderte Person ruft unter der angegebenen ‚Telefonnummer an, gibt die Automatennummer und das Fahrziel bekannt und das Servicepersonal der Bahn bedient diesen Automaten. Nachdem man bezahlt hat, wird die Karte ausgedruckt. Das funktioniert auf allen Bahnhöfen der ÖBB. Einer dieser Automaten ist für Menschen im Rollstuhl und für kleinwüchsige Menschen tiefer gesetzt.

Man soll sich überlegen, wo man sich Fahrkarten kauft. Wer die Möglichkeit hat, soll sich die Karten entweder am Computer oder am Smartphone per App kaufen. Das kann einen großen Preisunterschied ausmachen. Für eine Fahrt nach Graz hätte ich in einer Trafik 25 Euro bezahlt, über die App am Smartphone hat mir die Fahrt nur 9 Euro gekostet.

Eine weitere wichtige Einrichtung für Blinde und Sehbehinderte sind die Bankomaten mit Sprachausgabe. Es befinden sich fünf Stück davon im und beim Bahnhof. Auf der Seite der Lifte oder der Kassenhalle befindet sich eine taktile Bodeninformation (TBI) die mich in westliche Richtung zum Spar führt.  Auf dieser Seite befindet sich das Foyer der Sprdabank. Hier befinden sich zwei Bankomaten mit Sprachausgabe.  Die Funktionsweise wurde mit einem angeschlossenen Lautsprecher demonstriert. Da bei der Eingabe die Pin nicht gesprochen wird, konnte sogar ein Geldbetrag abgehoben werden.

Anmerkung: Der kleine Lautsprecher in Form eines Fasses war bereits 2015 bei der Anton Bruckner Sinfoniewanderung von Ansfelden nach St.Florian dabei. Und bei jeder Stadion erklangen die entsprechenden Stücke von Bruckner.

Auch das AMS (Arbeitsmarktservice) hat im Hauptbahnhof eine Außenstelle. Außer einer Beratung kann man alle sonstigen Services in Anspruch nehmen. Arbeitssuche, Bewerbungen schreiben, Lebensläufe und andere Dokumente kontrollieren lassen.

Auf der westlichen Seite, beim Spar, befindet sich ein Zugang zu den Bahnsteigen. Hier befinden sich die Zugänge mit den Rolltreppen. Außerdem findet man hier auch einen Wartebereich mit Sitzmöglichkeiten.

Wir gingen von dieser Seite bei den Bahnsteigen 5 und 6 zurück zum östlichen Zugang. Hier befinden sich die Lifte. Auf dieser Seite befinden sich bei der Stiege auch sehr tiefhängende Ankunfts- und Abfahrtsmonitore mit sehr großer Schrift. Ebenfalls befinden sich auf dieser Seite die Notrufsäulen. Helmut erklärte uns bei den Handläufen die Bedeutung der taktilen Schriftzeichen. Jedenfalls erkennt man an dieser Beschriftung für die Blinden und Sehbehinderten, in welcher Richtung man zur Bahnhofshalle kommt.

Beim Zugang zu den Bahnsteigen auf der östlichen Seite befindet sich der Westshop der Westbahn und zwei weitere Geldautomaten mit Sprachausgabe. Diese Automaten werden von der Raika betrieben und sind mit NFC-Lesern ausgestattet. Ich persönlich finde diese Automaten für Blinde und Sehbehinderte zum Abheben sicherer, da doch immer Personal von der Westbahn in der Nähe ist. Beim Westshop können Blinde und Sehbehinderte Linzbesucherinnen und Linzbesucher kostenlos einen Funkhandsender abholen.

Ebenfalls auf der östlichen Seite befindet sich eine WC-Anlage mit einem Behinderten-WC, dass man mit dem Euro-Key aufsperren kann. Außerdem befindet sich auch ein Rufknopf bei der Tür. Falls man einmal den Schlüssel vergessen hat.

Gegenüber der WC-Anlage befinden sich die Schließfächer, die aber für Blinde nicht barrierefrei sind.

Wenn man hier weitergeht kommt man zum Busterminal, zu den Bahnsteigen 1, 2, 21 und 22 sowie zum Zugang zur Tiefgarage mit sehr vielen Behindertenparkplätzen. Wenn man hier mit einem Taxi ankommt, ist man sofort in der Bahnhofshalle und man erspart sich sehr viel Zeit. Hier sind auch Ankunfts- und Abfahrtsmonitore mit sehr großer Schrift montiert. Hier befinden sich weitere Schließfächer, die ebenfalls für Blinde und Sehbehinderte untauglich sind.

Vor dem Zugang zu den WC-Anlagen und den Schließfächern befindet sich links ein McDonalds. Daran kann man sich orientieren, dann kommt man auch zur Stiege und den Rolltreppen für die Straßenbahnhaltestelle Richtung Stadteinwärts.

Ebenfalls kommt man hier entlang der TBI zur Kärntnerstraße. Links befindet sich die People Bar und rechts das seit 2015 geschlossene Lokal Drehscheibe. Nach

den automatischen Türen steht man vor dem Lift, der Stiege oder den Rolltreppen  um zum Landesdienstleistungszentrum (LDZ) oder zur Bushaltestelle Kärntnerstraße der Linz AG Linien zu gelangen.

Wenn man sich hier am unteren Ende bei der Stiege und den Rolltreppen befindet, hat man die Möglichkeit zu den Straßenbahnhaltestellen in beide Fahrtrichtungen zu gelangen. Es befinden sich links und rechts Türen, die zu einer Stiege und dann in den Haltestellenbereich führen. Das hat den Vorteil, wenn es zum Schienenersatzverkehr kommt, kann man von der Bushaltestelle Kärntnerstraße direkt zu den Straßenbahnhaltestellen gelangen und man muss nicht durch die Bahnhofshalle. Und man erspart sich sehr viel Zeit. Wenn man von der Bushaltestelle Kärntnerstraße kommt und man fährt mit der Straßenbahn Richtung Traun oder Auwiesen, muss man den rechten Stiegenabgang nehmen. Man kommt dann ans Ende der Straßenbahn.

Man kann von dieser Seite auch die Kärntnerstraße unterqueren und kommt zum Lift oder zur Stiege Richtung Böhmerwaldstraße und ist direkt bei der Bushaltestelle Kärntnerstraße Richtung Froschberg. Man erspart sich dadurch die Querung der starkbefahrenen Kärntnerstraße.

So fuhren wir mit der Rolltreppe nach oben und standen vor dem Landesdienstleistungszentrum (LDZ). Von dieser Stelle erreicht man die einige Meter entfernte Bushaltestelle Kärntnerstraße, die bei einem Schienenersatzverkehr angefahren wird. Ebenfalls kommt man von hier zum Wissensturm, zum Hotel Ibis und zum Hotel zur Lokomotive. Direkt beim Wissensturm befindet sich die Haltestelle von FlixBus. Weiters befindet sich hier die Kreuzung Kärntnerstraße – Postzufahrt. Diese Kreuzung ist mit einer ATAS ausgestattet. Wenn man sich genau in die entgegengesetzte Richtung bewegt kommt man nach einigen Metern zur Kreuzung Kärntnerstraße – Buszufahrt LDZ. Hier fahren die Busse in das Busterminal. Auch als Fußgänger kommt man hier zum Busterminal. Ebenfalls ist diese Kreuzung mit einer ATAS ausgestattet. Weiters kommt man von hier in wenigen Minuten zum Volksgarten und zum Musiktheater.

Der Aufgang zum Eingang des LDZ ist imponierend. Die breite und lange Stiege, die zwei langen Rolltreppen und der Lift locken die Kunden und Gäste zum Hochkommen ein. Der Blickpunkt ist die Schlange aus Metall, die sich auf der Stiege schlängelt. Das war auch das Ziel. Diese Schlange wurde genau über einer TBI aufgestellt, wodurch dieses logischerweise unterbrochen wurde. Diesbezüglich war am Tag der Sehbehinderung 2018 ein Bericht in den OÖ Nachrichten. (Drüberspringen kann ich nicht!). Weder das Land OÖ noch der Künstler haben darauf reagiert. Es ist noch nicht so lange her, da konnte man diesem Bereich jederzeit betreten. Da die Menschen hier aber ihren Mist nicht mitgenommen haben und dementsprechend alles verdreckt und vermüllt wurde, wurde der Zugang mit einem Glasverbau verkleidet und man kann nur mehr zu dem Öffnungszeiten diesem Bereich betreten.

Vom LDZ kommt man wieder direkt zum östlichen Eingang beim Bahnhof.  Hier befindet sich der fünfte Bankomat mit Sprachausgabe. Er ist im Außenbereich bei der Hypo angebracht. Kann ich aber nicht empfehlen, da hier doch einige zwielichtige Gestalten herumlaufen. Links kommt man wieder zum Busterminal und rechts geht es zum Eingang in das Bahnhofsgebäude. Auf dieser Seite, beim Restaurant „Stellwerk“, früher war hier das Cafe Paris, befindet sich der östliche Eingang in das Bahnhofsgebäude auf der oberen Ebene. Hier findet man wieder eine TBI, die mich zu den Liften führt. Da auf dieser Ebene kein geschlossener Boden vorhanden ist, kann man auf die untere Ebene blicken. Es ist alles mit einem Geländer umgeben. An diesem Geländer kann man sich gut orientieren und sich mit einer Hand am Geländer entlang führen lassen.

Auf meine Frage: „Wer weiß, warum dieses Geländer „ballig“ ist?“, gab es keine Antwort. Weil sie mit „ballig“ nichts anfangen konnten. „Bauchig“ wurde dann verstanden. Ich kenne „ballig“ seit meiner Lehrzeit als Maschinenschlosser und da war „bauchig“ kein Fachbegriff. Der Grund des bauchigen Geländers ist ganz einfach. Man kann darauf nichts abstellen und somit kann auch nichts auf die darunter befindlichen Personen fallen.

Auf dieser Seite beim Restaurant befindet sich das zweite Behinderten-WC.  Man geht vom Eingang bis zur gegenübeliegenden Wand. Links befindet sich eine Tür mit dem Zeichen „Eintritt verboten“ und da muss man rein. In diesem Bereich befanden sich einmal ein Sexshop und ein Wettbüro.

Wenn man sich rechts weiterbewegt, mit der Hand am bauchigen Geländer, kommt man zur ersten Auffanglinie für die beiden Lifte in die mittlere Ebene und zur Straßenbahnhaltestelle Stadteinwärts. Die nächste Auffanglinie zeigt mir die beiden Lifte für die Straßenbahnhaltestelle Richtung Süden und Traun an.

Anmerkung: taktile Bodeninformationen führen mich bei Liften immer zu den Rufknöpfen und bei Stiegen immer zu den Geländern. Wenn alles fachmännisch ausgeführt wurde.

Jetzt kann man schon das Blumengeschäft riechen. Hier befindet man sich in der Mitte der Bahnhofshalle in der oberen Ebene. Nach rechts kommt man zum Haupteingang und zum Bahnhofsvorplatz, wo die zwei Löwen aufgestellt sind. Weiters führen hier zwei Stiegen in die mittlere Ebene. Ebenfalls gibt es hier zwei Rolltreppen.  Wenn man das Gebäude betritt, führt die linke Rolltreppe nach unten und ich bin genau bei der Kassenhalle, oder dort, wo unsere Führung begann. Die gegenübeliegende Rolltreppe führt von unten nach oben.

Genau gegenüber des Haupteinganges befindet sich ein Warteraum für die ÖBB-Kunden. Dieser Raum ist sehr ruhig und angenehm. Er ist um einiges gemütlicher, als der Wartebereich in der mittleren Ebene auf Höhe des Spar. Dieser Warteraum ist auch an eine TBI angebunden.

Wenn man jetzt weitergeht, muss man sich am Geländer orientieren. Das soll aber kein Problem sein, da keine Stolperfallen im Weg sind. So könnte man die obere Ebene problemlos umrunden. Jedenfalls kommt man an einem Frisörgeschäft und einer Apotheke vorbei. Am Ende auf der westlichen Seite befindet sich links das Fundbüro der ÖBB. Hier kann man die Fundsachen, die man in den Zügen oder im Bahnhofsgebäude gefunden hat, abgeben. Andere Fundsachen muss man zum Wissensturm bringen.

An dieser Stelle sollte man aufpassen, da sich hier auch ein Zugang zur Polizeiinspektion befindet. Da können die Einsatzkräfte schon mit einem „Hurra“ herausstürmen.

Auf dieser Seite befand sich auch einmal eine Filiale der Spardabank. Genau darunter befindet sich der Supermarkt Spar. Und hier befindet sich auch der westliche Aus- und Eingang zum Bahnhof. Wenn man hier vor das Gebäude tritt, kommt man links zum Terminaltower mit dem Finanzamt und der Pensionsversicherungsanstalt. Weiters kommt man zum Postamt.

Ebenfalls, nur einige Meter entfernt, befindet sich der Eingang zur Polizeiinspektion. Die Tür ist links und rechts mit schweren und dicken Säulen abgesichert. Der Grund ist eigentlich sehr simpel. Wenn Passanten hier vorbeikommen, müssen sie der Tür weit ausweichen. Und wenn die Polizei bei einem Einsatz die Tür schnell aufreißen muss, kann sie niemanden treffen. Logischerweise muss die Tür nach außen aufgehen.

Anmerkung: Bei meiner Tätigkeit in der Erwachsenenbildung war ich auch sehr lange in der Muldenstraße tätig. Dieser alte Vierkanter hat sehr viele schmale Gänge und alle Türen gehen nach außen auf. Bei einer Pause riss ein Teilnehmer die Tür auf und man hörte nur mehr ein krachen. Einige Personen standen verdattert herum und einer lag wie ein Käfer am Boden. Neben meinem EDV-Raum befand sich die Übungsfirma und die wurde gerne von ausländischen Schulungseinrichtungen besucht. Der Käfer am Boden war der Gewerkschaftsboss von Moskau. Unser Betriebsrat ist damals viele Tode gestorben. Damals ist der Begriff „Getürlt“ entstanden und hat sich bis heute gehalten. Und damit bei der Polizeiinspektion beim Bahnhof niemand „Getürlt“ wird, ist die Tür abgesichert.

Wenn man vom westlichen Zugang bei der TBI nach rechts geht, kommt man zu einem sehr großen Aufmerksamkeitsfeld. Bei diesem Feld steht das erste Taxi beim Haupteingang. Hier befindet sich auch eine Notrufsäule.

Somit sind wir wieder beim Haupteingang und an Ende der Führung angelangt.

Diese Führung war auch eine gute Gelegenheit, sich kennenzulernen. Schließlich haben sich hier verschiedene Einrichtungen getroffen um gemeinsam vielleicht etwas neues kennenzulernen. Waren doch freiraum-europa, die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs, die Blindenpastoral, das RISS und Mitglieder des BSV vertreten.

Da wir uns auch als Botschafter der Blinden und Sehbehinderten verstehen, gab es anschließend auch einen gemütlichen Abschluss in der People Bar. Da in diesem Lokal oft Blinde und Sehbehinderte verkehren, ist hier der Umgang mit dieser Gruppe für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kein Problem. Das gilt auch für das Stellwerk oder die Bäckerei Kandur. Auch hier sind Blinde und Sehbehinderte als Brückenbauer unterwegs. Nur so kann man die Öffentlichkeit sensibilisieren. Die Blinden und Sehbehinderten müssen zu den Menschen gehen und nicht umgekehrt. Wir wollen doch etwas von ihnen.

Ich werde bei meinen Veranstaltungen dieses Konzept beibehalten. Es funktioniert sehr gut.

Wir bedanken uns bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Veranstaltung und hoffen, es hat ihnen genauso viel Spaß gemacht wie uns.

© Juli 2022 by Gerhard Hojas

Blinde Künstler und ihre erstaunlichen Werke

Zehn bildende Künstler, die komplett blind oder stark sehbehindert sind!

Blinde Musiker kennt man. Stevie Wonder, Ray Charles und Andrea Bocelli – um nur einige zu nennen. Aber blinde Bildhauer und Maler? Menschen, die ihre Werke nicht sehen können? Geht das überhaupt?

Ja, das geht!

Eşref Armağan sieht mit den Fingern

Der Istanbuler Künstler Eşref Armağan ist ein wissenschaftliches Phänomen. Forscher ließen ihn zeichnen, während er im Kernspintomographen lag. Das Ergebnis: Obwohl Armağan von Geburt an blind ist und die Farben und Formen der Welt nie gesehen hat, entsprechen seine Hirnaktivitäten beim Malen denen eines Sehenden.

Was Armağan zu Papier bringt ist nicht abstrakt, sondern gegenständlich. Seine Methode: Erst ertastet er sich das Objekt, das er abbilden möchte. Dann benutzt er seine Finger, um es darzustellen. 2009 malte er für Volvo den S60. Wie er das gemacht hat, zeigt ein Youtube-Film:

  1. K.O. Götz und sein „Bild für BILD“

Von Karl Otto Götz lernte einst Gerhard Richter, einer der teuersten Maler der Gegenwart. Im Februar wurde Götz 100 Jahre alt. Seit er vor drei Jahren erblindete, sieht er von der Welt nichts mehr. Doch dass vor seinem inneren Auge noch immer die prächtigsten Werke entstehen, bewies er mit seinem „Bild für BILD“. Wie er das hinbekam? „Was ich vorhabe, ist immer vorher in meinem Kopf“, erklärt K.O. Götz. „Dann kommt es auf die Schnelligkeit an, mit der ich die Pinselhiebe ausführe.“

  1. Dario Malkowski (88): Blinder Bildhauer mit Staatsexamen

Am Morgen des 19. November 1944 verlor Dario Malkowski sein Augenlicht. Eine Granate riss dem jungen Soldaten aus Schönebeck (Sachsen-Anhalt) das halbe Gesicht weg. Dann wurde es dunkel – und nie wieder hell. Trotzdem absolvierte er nach dem Krieg eine Ausbildung zum Holzschnitzer. Bei einer Ausstellung gefielen seine Werke den Offiziellen im DDR-Bezirk Magdeburg so sehr, dass sie ihn mit einem Stipendium ausstatteten – nicht wissend, dass er blind ist. Doch die Fachschule für angewandte Kunst in Magdeburg schickte ihn direkt wieder nach Hause. Malkowski blieb hartnäckig und setzte sich durch. Schließlich durfte er studieren und schaffte seinen Abschluss. Seither arbeitet er als freier Bildhauer.

Seine Werke kann man auf der ganzen Welt betrachten. In der Washingtoner Kongressbibliothek für Blinde und Sehbehinderte zum Beispiel, aber auch in Athen, Leipzig, Wien, Petersburg und Paris.

Malkowski schuf unter anderem die Preisskulptur des Deutschen Hörfilmpreises. Das drei Kilogramm schwere Bronzerelief trägt den Namen „Die Lauschende“

  1. Ricky Trione fand die Farben erst, als er blind war

Früher zeichnete Ricky Trione vorwiegend in Schwarz und Weiß. Auf seiner Homepage zeigt er die Bilder: feine Striche, klare Linien. Doch dann ereilten ihn zwei unglaubliche Schicksalsschläge im Abstand weniger Jahre. 1993 wirbelte ein Holztransporter einen Stein auf. Er flog durch das offene Fenster von Triones Auto, traf ihn am linken Auge. Sieben Jahre später verlor er bei einem ähnlichen Unfall auch noch sein rechtes Auge, als ihn ein Reifenteil eines vorbeifahrenden Trucks im Gesicht traf.

Trione überwand Trauer und Niedergeschlagenheit und ging wieder ans Werk. Wegen seiner Blindheit musste er allerdings seine Arbeitsweise ändern. Er malt jetzt bunt und arbeitet teilweise kleine Skulpturen in die Bilder ein. Warum? Damit er die Farbschichten spürt, die er mit den Fingern auf dem Papier verteilt. Trione: „Es gibt so viele Wege, unsere anderen Sinne zu benutzen.“

  1. Die Kunst brachte John Bramblitts Leben wieder in Form

Auch John Bramblitt muss die unterschiedliche Beschaffenheit der Farben an den Fingern spüren, um sich auf der Leinwand zurecht zu finden. Er erblindete 2001 infolge seiner Epilepsie. Damals fühlte er sich allein und ausgestoßen, seine Zukunft schien in Scherben zu liegen. Dann entdeckte er die Malerei für sich und schöpfte neuen Mut. Er sagt: „Die Kunst hat mein Leben wieder in Form gebracht.“ Heute gibt er Kurse und ist auch als Buchautor erfolgreich.

  1. Silja Korn ist

    erfolgreiche Fotografin

Aktuell werden die Fotografien von Silja Korn (48) in der ungarischen Botschaft in Berlin ausgestellt. Und Ende des Jahres kommen sie in die Sammlung der Ungarischen Nationalgalerie. Das Besondere daran: Die erfolgreiche Fotografin ist seit ihrem 17. Lebensjahr blind! Bei einem Autounfall erlitt sie schwere Augen-Verletzungen. Eine Fotografin brachte ihr vor neun Jahren den Umgang mit einer Kamera bei. Ihre Foto-Motive wählt Silja Korn mit den Händen oder den Ohren.

  1. Felice Tagliaferri verbietet, seine Kunst NICHT anzufassen

Seit er 14 Jahre jung ist, kann Felice Tagliaferri (heute 41) nicht mehr sehen. Mit seinen Händen schafft der gelernte Restaurateur wunderschöne Skulpturen mit feinen Details. Besonders berühmt ist seine Figur des liegenden Jesus Christus: eine Nachbildung des Originals von Giuseppe Sanmartino aus dem Jahr 1753. Tagliaferri war verboten worden, das Original mit seinen Händen zu berühren. Also schuf er seinen eigenen liegenden Jesus, ganz ohne das Original anzufassen. Nur mit mündlichen Hinweisen.

Der Jesus von Tagliaferri ist athletischer und besitzt trotzdem erstaunliche Details. „Es ist verboten, ihn NICHT anzufassen“, sagt Tagliaferri.

Tagliaferri arbeitete in Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland. Seine Werke wurden auch außerhalb dieser Länder gezeigt. Ein Museum an der italienischen Ostküste hat Tagliaferri-Skulpturen eine ganze Sektion gewidmet. Außerdem gibt er Kunstworkshops für blinde und sehbehinderte Menschen.

  1. Keith Salmon wurde als Landschaftsmaler ausgezeichnet

Die Berge und das Malen. Diese zwei großen Leidenschaften hatte der Brite Keith Salmon (54) schon immer. Dann nahm seine Sehkraft plötzlich rapide ab. Der Grund: Diabetes. Auf dem linken Auge ist er mittlerweile komplett blind, rechts kann er nur noch Schemen erkennen. Trotzdem wandert Salmon immer noch in den Bergen. Und er malt auch weiter. 2009 erhielt er den mit 20 000 Pfund (25 000 Euro) dotierten Jolomo-Preis für seine atmosphärischen Bilder der schottischen Landschaft. Keith Salmon: „Ich male mit dicken Pinseln, trage Farbschicht um Farbschicht auf und kratze schließlich mit einer stumpfen Klinge wieder Farbe ab.“ Auf diese Weise erscheinen seine Werke filigran – auch wenn er selbst kaum Details wahrnehmen kann.

  1. Albert Schmiege muss um

    die Ecke malen

Wenn Albert Schmiege sehen will, was er mit rechts macht, muss er nach links schauen. Der US-Amerikaner leidet an Morbus Stargardt, einer seltenen Netzhaut-Erkrankung. Was direkt vor ihm passiert, bleibt ihm verschlossen. Lediglich an den Rändern seines Sichtfelds kann er Dinge erkennen – aber auch das nicht gut. „Es fing 1985 an, ich war 24 Jahre alt“, berichtet er. „Meine Kinder waren noch klein, und das härteste für mich war, dass ich nicht mehr in der Lage war, ihren Gesichtsausdruck zu sehen.“

Schmiege musste seine Arbeit aufgeben, fand sich in der Welt nicht mehr zurecht. Doch eines gab er nicht auf: seine Malerei. „Das ist etwas, das ich ganz für mich allein tun kann. Ich male im Keller, muss dafür nicht raus. Zu Malen bedeutet für mich, Unabhängigkeit zu erreichen.“ Mittlerweile hat es Schmiege zu einiger Bekanntheit in den USA gebracht. Er sagt: „Ich bin auf viele Arten gesegnet.“

  1. Sanja Fališevac ist taub und blind

Zuerst verlor Sanja Fališevac (49) aus Zagreb (Kroatien) ihr Augenlicht – und dann wurde sie auch noch taub. Wer mit ihr kommunizieren möchte, muss ihr Botschaften auf die Handfläche streicheln. Aber das hat sie nicht davon abgehalten, ihren Lebenstraum zu verwirklichen. Sie ist eine erfolgreiche Künstlerin. In ihrem Atelier zeigt sie stolz die zahlreichen, zauberhaften Skulpturen, die sie in ihrer Phantasie erschaffen und mit ihren Händen geformt hat.